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Man verlässt das Theater, begibt sich auf den Heimweg und stellt plötzlich fest, dass man sich
wohlfühlt: untrügliches Zeichen einer gelungenen Aufführung. So ging es nach der gestrigen
Premiere von Bernard Slades Stück ganz sicher nicht nur dem Rezensenten. Ein solches
Gefühl des Angenehmen und der Belebung ist immer das Echo nicht realer, sondern gespielter
Ereignisse und wird einzig vom Theater vermittelt - kein Kinobesuch und erst recht kein
Fernsehabend kann es produzieren. Es bedarf dazu der Präsenz von Schauspielern (und nicht
der nur virtuellen auf der Leinwand) und eines Publikums, dessen Teil man ist.
Nun ist nur zu bekannt, dass heutige Inszenierungen häufig eher bemüht sind, solche
Emotionen nicht aufkommen zu lassen. Gestern Abend jedoch durften sie sich einstellen - und
weil sie mit einem Quäntchen Melancholie gemischt waren, wusste man sofort, auch ohne
rationale Analyse, dass die Komödie, die man gesehen hatte, durch ihren schönen elegischen
Unterton eben mehr als nur ein Unterhaltungsstück ist. Es gibt natürlich richtig witzige
Stellen: herrlich etwa der Auftritt Ulrike Knoblochs als Hippiefrau. Aber auch an dieser Stelle
blieben die Zuschauer von Klamaukeffekten verschont. Aller Situationswitz
blieb konsequent in die Handlung integriert, sprengte also nicht die Balance von Leichtigkeit
und Ernst. So entstand ein Spielraum, in dem die zwei Stunden erstaunlich rasch vergingen.
Es gab tatsächlich keinerlei Längen, was doch ganz selten ist. Die Regie Luisa Brandsdörfers
und die dramaturgische Arbeit von Jürgen Sachs haben den Text von Bernard Slade in echtes,
lebendiges Theater transformiert.
Slades Stück ist mithin ein Spiel im Spiel, dessen Beschwingtheit sich auf die Zuschauer
überträgt. Hierin besteht wohl der Grund für das eingangs geschilderte sich nach der
Aufführung einstellende Gefühl des Wohlbefindens. Man versteht so unmittelbar, warum das
Theater eine Empfindung von Freiheit erzeugen kann. In diesem Fall resultiert sie aus dem
spielerischen Aufbau eines Rahmens, innerhalb dessen alle sonst gültigen moralischen
Maßstäbe gerade abgebaut werden. Ohne dass wir uns beunruhigen müssten, wird die
scheinbar allein gültige Sehweise, mittels derer wir das Leben beurteilen, demontiert.
Radikalisierte man eine solche Demontage, sie klänge so: "Es macht überhaupt keinen
Unterschied, ob eine Frau mit ihrem Gatten schläft oder mit einem Liebhaber. Setze die
Unterscheidung durch das verquere Wort "Ehe" beiseite, und du hast aus Ehebruch und Ehe
ein und dieselbe Sache gemacht", nämlich den Liebesakt. Solche bedingungslos
aufklärerischen Sätze sind in einem sehr alten Text zu lesen, betitelt "Von der Lust oder Vom
wahren Guten" und stammen von dem Renaissancephilosophen Lorenzo Valla. Sie münden in
die folgende Schlussfolgerung: "Richtig geschieht nur, was aus freiem Willen geschieht". Das
gestern aufgeführte Stück von Bernard Slade hat es dem Publikum ermöglicht, auf weniger
brachiale, eher freundliche und nette Weise einen vergleichbaren Umbau der Ordnungsmuster,
in denen wir uns normalerweise bewegen, vorzunehmen und dabei eben Lust zu empfinden.
Eine solche Transformation kann nur dann glücken, wenn die Schauspieler sie stellvertretend
für die Zuschauer auf der Bühne vorführen. Ulrike Knobloch gelingt das vorzüglich. Von
Anfang an nimmt man ihr die aus Doris sprechende Möglichkeit zu einer freizügigunbeschwerten
Existenz ohne weiteres ab. Niemals gerät sie ins Laszive, Oberflächliche oder
Plumpe. Zudem verkörpert sie die junge Mutter, die sich schließlich emanzipiert, dann die
erfolgreiche Geschäfts- und zuletzt die gereifte Frau mit beeindruckender
Wandlungsfähigkeit, die sich im Sprachverhalten ebenso wie in allen Gesten und
Bewegungen ausdrückt. David Gerlach wirkt zu Beginn etwas zu boulevardmäßig, stellt dann
aber etwa den vom Schmerz um den getöteten Sohn versteinerten, dennoch von innerer
ohnmächtiger Wut zerrissenen George sehr überzeugend dar. Aus dem Zusammenwirken von Schauspielern, Regie und Dramaturgie entsteht so ein richtig
guter und sehr vergnüglicher Theaterabend. "Nächstes Jahr - Gleiche Zeit" sollten sich die
Marburger, so unsere Empfehlung, nicht entgehen lassen.
Marburger Forum Max Lorenzen
Marburg. Zwischen Amerika und Europa liegen Welten, zwischen den 70er Jahren und heute auch. Gabriele Neumann
In Abständen von fünf Jahren werden die Zuschauer in das Leben von Doris (Ulrike Knobloch) und George (David Gerlach) geführt, bis zum Jahr 1975 erstrecken sich die Treffen. Das gelungene Bühnenbild von Andreas Rank strahlt die etwas unpersönliche, aber doch anheimelnde Atmosphäre kleiner amerikanischer Motels aus. Mit aufwändigen Details ist das Doppelzimmer mit Bad im Hotel von Mr. Chalmers (als Statist, Bernd Kruse) aufgebaut.. Was der Sprache an Authentizität fehlt, machen die Bilder wett. Die Musik in den Umbaupausen, von „Magic Moments“ bis zum Elvis-Hit „Now or never“, die eingespielten Dias mit Alltagsszenen und Glamour-Bildern, versetzen genau in die jeweilige Zeit, eine gute Regie-Idee in Luisa Brandsdörfers Inszenierung. Ulrike Knobloch haucht der Figur der Doris Leben ein, lässt den Dialogwitz ins Publikum überspringen, das sich mit Szenenapplaus bedankt. Glaubwürdig verkörpert Knobloch über die insgesamt sechs Bilder den Wechsel von der biederen katholischen Hausfrau zur Flower-Power-Studentin und später zur tüchtigen Geschäftsfrau. David Gerlach überzeugt in den ernsteren Bildern, als Wirtschaftsprüfer im Gewissens-Dilemma, als verhärmter Republikaner, der den Tod seines Sohnes im Vietnam-Krieg betrauert. „Nächstes Jahr – gleiche Zeit“ hält keine Schenkelklopfer bereit, keinen Klamauk. Das macht es für die Darsteller schwierig, zu schnellen Lachern zu kommen. Viel Humor transportieren die gelungenen Kostüme – Knobloch als Hippie-Studentin im Schlabberlook oder als hochschwangere Stimulationshilfe für den von vorübergehender Impotenz geplagten George – Gerlach im karierten Jackett als kleinkarierter Buchhalter und in schwarzer Schlaghose mit lila Hemd auf der Suche nach dem inneren Selbst.
Und so hat „Nächstes Jahr – gleiche Zeit“ am Landestheater seine stärksten Momente, wenn es um das universelle Gefühl der Liebe geht, um Wahrhaftigkeit, das Dilemma zwischen Treue und Untreue, das beide Ehebrecher mit Humor nehmen. Das Premierenpublikum dankt mit freundlichem Applaus und geht hinaus in die Welt des Jahres 2006.
OP-Marburg Gabriele Neumann
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