Der eingebildete Kranke von Jean Baptiste Molière

 

Premiere: Samstag, 11. Januar 2006   Fränkisch-Schwäbisches Städtetheater Dinkelsbühl
Fotos: hier
Bühne: Frieder Loew / Luisa Brandsdörfer
Kostüme: Ursula Blüml
Dramaturgie: Karen Schultze
Darsteller: Argan • Frank Piotraschke
Toinette • Maike Frank
Angelique • Antje Ulmer
Béline / Louison • Jördis Johannson
Béralde / Dr. Diafoirus / Monsieur Bonnefoi • Knut Fleischmann
Cléante • David Wilcox
Dr. Purgon / Thomas Diafoirus / Pfleger Gustav• Andreas Peteratzinger
Chor • Knut Fleischmann, Maike Frank, Jördis Johannson,
Andreas Peteratzinger, Antje Ulmer, David Wilcox
Presse:

Frischzellentherapie schlägt an

Theater/ Molières „Eingebildeter Kranker“ erblüht in Dinkelsbühl unter Luisa Brandsdörfers Regie

Luisa Brandsdörfer machte schon mit der Inszenierung von Shakespeares „Widerspenstiger“ intensiv auf sich aufmerksam. Auf gleicher Bühne mit nur minimal verändertem Bühnenbild, das das Dinkelsbühler Städtetheater auf seine Shakespeare-Aufführungen baute, zeigt sie nun Molières „Der eingebildete Kranke“ in einer hochintelligenten und rasanten Inszenierung, die ihresgleichen sucht. 

Das Stück um gierende, quacksalbernde Ärzte und einen tyrannisch-hypochondrischen geldmann, der despotisch eine Umgebung familiärer und gesellschaftlicher Art knechtet, auch wenn sie ihn schon länger nicht mehr für voll nimmt, ist alt gedient. Das mag die Erklärung sein dafür, dass bei der Premiere in der Schranne Stühle leer blieben. So einen eingebildeten Kranken zu versäumen war indes ein großer Fehler! Denn allererster Güte war ein Ensemble, das das Stück des großen französischen Dichters und Theaterleiters, der übrigens selbst in der Rolle des Argan auf der Bühne verstarb, mit so unglaublichem Tempo und aktueller Frische auf die Bretter stellte, dass man das Gefühl hatte, ein völlig neues Stück zu sehen. 

Die Einteilung auf alter Bühne mit neuen, glänzend schwarzen Jalousien die mehrere Geschehensebenen eröffneten, war ebenso sinnvoll wie genial von Brandsdörfer gemacht. Das Belauschen Aller von allen durch alle inszenierte sie einfach fantastisch. Frankt Piotraschke als Argan war ein Ohrensesselfurzender Miesling par Exellence, wie immer, und diesmal angemessen, ein wenig an der Grenze zum Überzogenen. Jördis Johannson überzeugte als seine so liebreizende, falsche, nur dem Erbe zielsicher zustrebende zweite Frau. Und Antje Ulmer als Argans Tochter Angélique pendelte raffiniert zwischen Weinerlichkeit und Revolte gegen den unterdrückenden alten Vater.
Insbesondere als Dr. Diafoirus gab Knut Fleischmann eine herrlich schleimige Partie ab, auch wenn er dann letztendlich seinen von Andreas Peteratzinger erfrischend blöd gespielten Sohn Thomas, einen Dummschwätzer und Hohlkopf, nicht an die Frau, sprich Angélique, bringt. Fleischmann glänzt aber auch als schmieriger Notar de Bonnefoi. Eine ganz tolle Partie lieferte bei der Premiere Maike Frank als frech-vorwitzige Toinette ab, Argans Dienstmädchen, die ihren Chef mit intelligentem Witz über den Tisch seiner Einbildung zieht.
Die Komödie ist in Brandsdörfers Regie eine ganz tolle Sache und nicht nur ein wenig aktuell. Man darf sich über die Ärzte auch nach dem 17. Jahrhundert noch mokieren, es wird nur auf höherem Niveau gequacksalbert. Und der alte gierende Despot hat so viel gemeinsam mit einer gewissen Art von Managern, die alle vor Gericht stehen sollten: Argan tut´s hier vor dem Tribunal seiner krankhaften Einbildung, in die er sich verbrettert hat. [...] Eine schwarzweiße Kostümierung und eine fast ebensolche Bühne mit geschickter Beleuchtung werden als Geniestreich bei dieser erstaunlichen Inszenierung beinahe vergessen. man muss in diesem fantastisch gemachten Molière darauf hinweisen!... Schwäbische Post-Ostalb-Kultur, 14.01.2006 Thomas Hampus

Geiernde Ärzte und ein aasiger Argan

Luisa Brandsdörfer inszeniert intelligenten Spaß mit Untertönen-Homogenes Ensemble

... Das Bühnenbild ist fast bekannt. Molières Satire auf geldgierige Ärzte und Pharmaproduzenten spielt in der gelben Shakespeare-Bühne des Städtetheaters. Aber die vier grauschwarz glänzenden Jalousien, die Brandsdörfer hinhängen ließ, verdüstern es. Ab und an lugen Augen durch die Jalousie-Schlitze. Stumme Beobachter. Ein Haus der Angst. Und Gier.
Argan, der Hypochonder, hat Angst. Vorm Leben, vorm Altern, vorm Sterben, vorm Tod? Wer weiß. Oder davor, dass ihm die Kontrolle entgleitet. Die Orientierung hat er längst verloren, hat sich in seiner Krankenscheinwelt verbarrikadiert, sucht darin verzweifelt nach Halt, nach Regeln. [...]

Sein anderes Problem: Keiner nimmt ihn noch ernst. Bis auf seine Tochter vielleicht, obwohl er sie eigennützig mit einem Arzt zwangsverheiraten will, und bis auf seinen Pfleger Gustave. Der folgt ihm wie ein Hündchen. Gustave ist immer zu Diensten. Schiebt Argan im Rollsessel herum, trägt ihn auf dem Rücken umher, weil der Arzt Bewegung verordnet hat. Komische Sitten sind das im Hause Argan.
Bitterkomische Bilder sind das, die Luisa Brandsdörfer aus dem Text herausholt. Molières Ballett-Einlagen werden zu grotesken Weißkittel-Pantomimen mit geiernden Ärzten, hübsch bizarr und bedrohlich.

Brandsdörfer gibt Molières Witz Verve und Effet. Gleichzeitig ist auch eine fast zeremonielle Strenge im Spiel. Nicht in der Art der Figurenführung, aber in der Art der Kostümierung. Die Schwarzweiß-Ästhetik der sprechenden Kostüme vo nursula Blüml grundiert die aufgeräumte typenkomik des Ensembles mit jener fast feierlichen Würde, welche die Portraitfotos alter, vergilbter Familienphotographien suggerieren. Kontrastfolie für die Ausbrüche des maladen Familienüberhauptes.[...]

FLZ-Mittelfranken, 13.01.2006 Thomas Wirth